CAROLINE BAYER & OSTER+KOEZLE
Während ihrer Studienzeit in Münster entdeckte Caroline Bayer das Thema Architektur für sich. Die Bausünden und die lieblos gestalteten Wohnklötze – vor allem die der 1980er-Jahre – boten Anlass und Inspiration zugleich, sich mit Architekturformen und dem sie umgebenden Raum näher auseinanderzusetzen. Zunächst übersetzte die in Berlin lebende Künstlerin das Gesehene in großformatige Wand- und Bodenzeichnungen, die sie mittels Klebeband sowohl im öffentlichen Raum als auch in eher geschützten Ausstellungssituationen anbrachte. Dabei kopierte sie keinesfalls die Realität, sondern abstrahierte bzw. reduzierte die ausgewählten Orte in besonderer Art und Weise: Horizontale und vertikale, schwarze oder weiße Linien prägten diese frühen Werke, die die Dreidimensionalität gleichsam ins Flächige kehrten. Bis heute bilden für die Künstlerin Fassaden, Grundrisse, geografische Lage oder auch die Geschichte eines Gebäudes bzw. Stadtteils den Ausgangspunkt. Dabei sind es nicht die baulichen Besonderheiten, die sie in den Fokus nimmt, viel mehr legt Bayer das Augenmerk auf Alltägliches und fast Unscheinbares. Damit fordert sie vor allem den Betrachter immer wieder zum überlegten und genauen Hinsehen auf. Mittlerweile hat Caroline Bayer ihre künstlerischen Ausdrucksformen erweitert, neben den formal strengen Arbeiten aus Klebeband entstehen auch skulptural erscheinende Objekte oder raumgreifende Installationen. Dennoch ist sie dabei ihrem Drang nach Reduktion treu geblieben. So sind ihre Werke stets von einer zurückhaltenden Farbigkeit und von klaren Strukturen, wie sie sie in der Architektur vorfindet, geprägt. Und noch immer bildet der spezifische Ausstellungsort die Grundlage für ihr Schaffen, daher ist die vorherige Recherche vor Ort Teil des Werkes. Für Bayer ist die konkrete Umgebung mehr als nur eine Ansammlung von Räumen oder Gebäuden, es sind auch die Geschichten, die verborgen in den Wänden schlummern. Bisweilen werden auch Fundstücke, in ihre Werke integriert, die sie aus ihrem ursprünglichen Kontext löst und in einem neuen Sinnzusammenhang präsentiert. Bereits 1957 beschrieb der französische Philosoph Gaston Bachelard in seinem Buch ‚Poetik des Raumes‘ den Zusammenhang von (persönlicher) Historie und Gebäuden. Das Haus „ist Körper und Seele. Es ist die erste Welt des menschlichen Seins.“ Es ist nicht bloße Hülle oder Schutzraum, sondern ein Ort an dem sich Geometrie und Erlebtes – Bachelard spricht in diesem Zusammenhang von Erinnerungen – miteinander verbinden. Je komplizierter der Raum, umso mannigfaltiger die Erinnerungen und Geschichten, die in ihm stecken (Gaston Bachelard, Poetik des Raumes, Frankfurt a. M. 1987, S. 25-37). Eben jene versucht die Künstlerin durch ihre ortsspezifischen Werke freizulegen.
Für die aktuelle Ausstellung setzt sich Bayer mit der bewegten Geschichte des Lincoln-Quartiers auseinander. Münster galt noch bis in die 1990er-Jahre als eine der größten Garnisonsstädte innerhalb Deutschlands, ein Umstand der die Stadtentwicklung nachhaltig geprägt hat und bis heute stellenweise deutlich erkennbar geblieben ist. In mehr als 30 Kasernen waren britische, amerikanische, holländische und deutsche Soldaten untergebracht. Erst mit Beendigung des Kalten Krieges wurden die militärischen Einrichtungen überflüssig und nach und nach abgebaut oder einem neuen Verwendungszweck zugeführt. Bereits1913 wurde mit dem Bau des Kasernengeländes an der Grevener Straße begonnen, die Fertigstellung erfolgte jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg, in ihrer Anlage galten die Gebäude damals als eine der modernsten ihrer Art, weshalb die historischen Komplexe heute unter Denkmalschutz stehen.
Mit ihrer Arbeit ‚Kasino‘ verweist Caroline Bayer nicht nur auf die noch sichtbare Hülle, indem sie verschiedene Strukturen bzw. Objekte entwickelt hat, die sich an den Plänen des Katasteramtes von 1921 orientieren. Auch die Erinnerung an ihre ehemaligen Bewohner/Nutzer lässt sie, durch die Verwendung verschiedener Länder- und Regimentsfahnen wiederauferstehen. Bayers Umgang mit diesem sehr speziellen Ort wirft damit nicht nur ästhetische Fragen auf, sondern erhält durch ihre feinfühlige Herangehensweise auch eine soziale und gesellschaftliche Komponente, was den Umgang mit historischer Bausubstanz angeht. Gerade vor dem Hintergrund des Aufbaus der Dresdner Frauenkirche oder dem Quasi-Neubau des Berliner Stadtschlosses liefert Bayer mit ihren Werken ein passendes Gegenargument zum Wiederaufbauwahn, durch ihre temporären und innovativen Stücke der Erinnerung. Ganz im Sinne Bachelards: Lass dich auf den Raum ein und er wird dir seine Geschichte erzählen.
Seit 1999 arbeiten der Maler Willy Oster und der Fotograf SG Koezle als Künstlerduo OSTER+KOEZLE zusammen. Ihre Arbeiten spielen mit der Darstellung und Wahrnehmung von Raum und Dreidimensionalität in der Fotografie. Den Ausgangspunkt bilden stets fotografische Aufnahmen von Innenräumen, aus denen architektonische Details aus ihrem Zusammenhang herausgelöst werden. Mit einem Bildbearbeitungsprogramm fügen sie monochrome Farbflächen in die Fotografien ein, die teils sofort erkennbar, teils so subtil sind, dass man sie erst auf den zweiten Blick als Einfügung wahrnimmt. Die digitalen Veränderungen folgen keinem festen System, sondern ergeben sich aus dem vorhandenen Bildmaterial. Mal passen sich die Farbflächen vorhandenen Raumlinien an, mal überschneiden und verdecken sie diese vollständig. Sie können sowohl rechteckig als auch polygonal sein. Mal stehen sie senkrecht oder waagerecht, mal sind sie schräg ins Bild gesetzt. Was ihnen aber immer gemeinsam ist, dass sie zu einer Verunklärung des abgebildeten Raumes beziehungsweise zu einer veränderten räumlichen Darstellung führen. Die fotografierten Räume und die eingefügten Farbflächen verbinden sich optisch zu einer neuen Raumkomposition, die unsere Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten herausfordert und eine unauflösbare Spannung zwischen Fläche und Raum erzeugt. Der Betrachter ist versucht, die räumliche Situation zu rekonstruieren, doch wird ihm dies von den Farbflächen verwehrt. Eine eindeutige Identifikation und Positionierung im Raum ist so nicht mehr möglich. Es kommt zu optischen Irritationen, die eine neue illusionistische Tiefenräumlichkeit erzeugen. Die Farbflächen, die reine zweidimensionale Gebilde sind, erhalten in der Wahrnehmung eine dreidimensionale Ebene. Sie scheinen optisch zu kippen, mal ragen sie in den dargestellten Raum hinein, mal scheinen sie aus diesem hervorzutreten.
In ihren Arbeiten spielen OSTER+KOEZLE aber nicht nur mit der Wahrnehmung von Tiefenräumlichkeit, sondern auch mit verschiedenen Oberflächenwirkungen. Die monochromen Farbflächen weisen keine Farbverläufe, Schatten- und Lichtzonen oder etwa Oberflächenstrukturen aus. Die reine Farbe, ob nun tiefes Schwarz oder ein lichteres Blau, sind absolut homogen und ebenmäßig. Im Gegensatz dazu stehen die meist weißen Wand, Boden- oder Deckenflächen der fotografierten Innenräume. Ihre Oberflächen sind nicht absolut ebenmäßig: Licht und Schatten, Ecken und Kanten machen die Architektur erst erfahrbar und teilen sie in ihre Elemente auf. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird so auch auf die kleinen Unregelmäßigkeiten, wie beispielsweise die Struktur der Raufasertapete oder des Wandputzes gelenkt, die den Raum als empirische Wirklichkeit erkennbar machen. Der Kontrast der zwei bildgebenden Elemente – fotografierter, realer Raum und hineingesetzte, digitale Farbfläche – ist damit immer sichtbar. OSTER+KOEZLE nutzen die Fotografie nicht als abbildendes Medium, sondern erzeugen eigenständige Bilder, deren Reiz aus dem optischen Zusammenspiel und der Divergenz dieser beiden Elemente – Raum und Fläche – entsteht. Das Künstlerduo arbeitet in verschiedenen Werkreihen, welche, aufeinander aufbauend, unterschiedliche Aspekte der Architektur und der Bearbeitung in den Fokus stellen. Die ersten beiden (und bis heute weiter verfolgten) Werkreihen „rooms“ und „perspectives“ konfrontieren Räume mit Farbflächen und perspektivischen Irritationen. In ihrer neuesten Reihe „architectures“ lösen OSTER+KOEZLE durch Einfügen einer digitalen Farbfläche architektonische Elemente aus ihrem Kontext heraus. Diese scheinen dadurch wie geometrische Formen in einem undefinierten Raum frei zu schweben.